Eine Gruppe von Führungskräften eines internationalen agierenden Unternehmens trifft sich bei einem Seminar zum Thema Führung. Die Führungskräfte sind erfahren, haben große Verantwortungsbereiche, die meisten von ihnen führen auch Führungskräfte.
Im Vorgespräch betonen HR-Abteilung und Unternehmensleitung, dass die Führungskräfte zwar praktisch sehr erfahren sind, aber sehr aus der täglichen Praxis heraus handeln, die dringenden Arbeiten immer top erledigen, aber wenig Gefühl für die langfristige Entwicklung ihrer MitarbeiterInnen haben und auch die strategische Orientierung eher schwach ausgeprägt ist. Die HR-Abteilung stört, dass vereinbarte Führungsinstrumente nicht oder nur oberflächlich eingesetzt werden. Die Mitarbeitergespräche sind kurz, die Protokolle werden mehr als formale Schikanen denn als Hilfe zur Mitarbeiterführung gesehen.
Die Gruppe trifft sich das erste MaI: die TeilnehmerInnen betonen fast durchwegs, dass sie bereits viele Führungskräfte-Seminare besucht haben, die wesentlichen Theorien kennen und sie eigentlich nicht verstehen, warum sie schon wieder zu einem – gleich mehrteiligen – Führungsentwicklungsprogramm vergattert wurden. Im übrigen sind die Theorien in der Praxis ohnehin schwer umsetzbar. Einer meint gleich zu Beginn: „Ich sage, wie es ist: am Ende eines Seminars denke ich mir immer, da habe ich jetzt wirklich gute Ideen für meine Arbeit bekommen. Aber am Tag darauf bin ich in der Arbeit mit all den täglichen Problemen konfrontiert, die schnell gelöst werden müssen. Da ist dann keine Zeit mehr für das, was ich eigentlich umsetzen wollte. Wenn eine Woche später das Flipchart-Protokoll kommt, schaue ich noch kurz darauf und erinnere mich an einiges, aber wirklich umsetzen tue ich wenig.“ Tatsächlich kennen natürlich alle ihre Aufgaben bei der Zielvereinbarung, wissen, welche Elemente das Mitarbeitergespräch umfasst. Sie kennen die Motivationstheorien von Herzberg und das Modell des situativen Führens. Wie sich später – als doch einer danach fragt, herausstellt – bedeutet kennen, dass sie davon gehört haben, nicht aber, dass auch nur einer von ihnen sie erklären oder kurz zusammenfassend darstellen könnte. Dennoch: damit Lernen möglich ist, brauchen wir Lernbereitschaft. Wie also die Sache angehen?
Führung erlernt sich nicht so leicht, indem man die Erfahrungen anderer reflektiert, wie Henry Mintzberg immer wieder betont. Deshalb nützt es auch nichts, wenn der Trainer den praxiserfahrenen Führungskräften noch weitere Modelle und Theorien bringt, die sie vielleicht doch noch nicht kennen und die dann letztlich ein ähnliches Schicksal erleiden wie ihre Vorgänger. Führung erlernt man, indem man seine eigenen Erfahrungen reflektiert. Im konkreten Fall:
- Indem ein Abteilungsleiter sich mit seinen eigenen Erfolgen befasst und darüber nachdenkt, in welchen Situationen man die Vorgangsweisen noch anwenden könnte und wofür sie nicht geeignet sind.
- Indem eine mutige Bereichsleiterin als erste ein Problem mit einem Mitarbeiter diskutiert und sich von ihren KollegInnen beraten lässt.
- Indem zwei Gruppenleiter miteinander vereinbaren, sich bei der Moderation von halbtägigen Innovationsmeetings gegenseitig zu unterstützen und diese ihre Erfahrungen beim nächsten Modul mit der Gruppe teilen.
Und für jene, die sich mit ihrem Lernsetting noch weiter vorwagen:
- Indem Antworten und Statements nur gegeben werden, wenn es zuvor eine konkrete Frage gibt.
- Indem das Lernsetting so gestaltet ist, dass einerseits an konkreten Themen und Problemstellungen gearbeitet wird und andererseits immer auch verlangt wird, nicht nur das Problem zu lösen, sondern daraus für die Zukunft zu lernen.
- Und schließlich, indem Teilnehmer an Leadership-Programmen lernen, nicht nur Situationen, sondern vor allem auch sich selbst in diesen Situationen zu reflektieren.
(Immer interessant dazu ist Mintzberg, z.B.: Henry Mintzberg: Looking forward to development. In: Training + Development, 2/2011 und Henry Mintzberg: The long view. In: Training + Development 1/2011, S. 69.)
(Grafik: depositphotos.com)